An
einem regnerischen winterlich kalten Apriltage herrscht lebhaftes
Treiben auf der Bürgerweide in Bremen. Eine ansehnliche Zahl
junger Männer mit leichtem Handgepäck bewaffnet, ist
hier versammelt und fortwährend strömen noch weitere
herbei. Ein neuer Jahrgang ist zum Reichsarbeitsdienst einberufen.
Wenige Minuten vor 8.00 rückt die Kolonne zum Bahnhof, und
mit dem bereitgestellten Sonderzug geht es dem Ziel Barßel
an der Nordostseite des Hümlings, jener sandigen und moorreichen
Emslandschaft, entgegen.
Ein Abholkommando des R.A.D. führt uns im Fußmarsch
ins Lager. Brandreeken (195/3) ist es geheißen. Einsam inmitten
der Heide wurde dies Lager binnen kurzem errichtet; manches fehlt
noch oder zeigt sich erst im Rohbau, und nicht zuletzt unsere
Arbeit soll dem Lager den letzten Schliff und eine blitzende Sauberkeit
geben.
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Mehrere Wochen bedarf die Umstellung von der steten Hast und den
Lärm der Großstadt zu der Einsamkeit und Stille der Heide,
von dem bequemen bürgerlichen Leben in die militärische
Gemeinschaft. Ab und zu belebt das junge Grün einer Weide das
endlose Rostbraun des Hochmoores oder zieht sich ein Entwässerungsgraben
schnurgerade durch die Landschaft. Die Bilder zeigen die Umgebung
des Lagers.
Nach
kurzer Einkleidung und Aufteilung auf die Unterkünfte, je Stube
16 Mann, geht es mit voller Kraft an die Arbeit. Ein umfangreiches
Programm ist für das Sommerhalbjahr zu bewältigen. Ausbau
des Lagers, Landkultivierung, Entwässerung oder Wegebau sind
nur einige Punkte. Die Bilderfolge gibt einen Einblick von den vielseitigen
Arbeitseinsatz.
Daneben
erfolgt formale Infanterieausbildung, Körperertüchtigung
und Unterricht. Nur an wenigen Sonntagen bietet sich Gelegenheit
zu Wanderungen in die Umgebung, wobei Bad Zwischenahn und Ocholt
als Ausgangsziel bevorzugt werden. Längst ist uns der regelmäßige
und gleich bleibende Tagesablauf zur eintönigen Gewohnheit
geworden, als uns unvermutet eine Überraschung erwartet. An
einem sonnigen Julitage wird der Zug von der Baustelle abberufen
und schon wird zur Abfahrt gerüstet. Es geht in die Erntehilfe,
eine willkommene Abwechslung. Bequeme Reiseautobusse bringen uns
ins fruchtbare Jeverland, zunächst in die Marineanlagen von
Schilling-Reede. Flachs-Ziehen und Erbsenpflücken ist unsere
erste Erntearbeit, die im täglichen Gesamteinsatz von 5.00
bis 15.00 Uhr eingebracht wird.
An
den Nachmittagen bleibt oftmals freie Zeit zu einem kühlen
Nordseebad oder einer Wattenwanderung. Nach Verlegung in ein landeinwärts
gelegenes Dorf, wo in einer Schule Unterkunft bezogen wird, erfolgt
später Einzelaufteilung auf landwirtschaftliche Betriebe. Für
uns Städter etwas ganz Neues: Garben binden, Hocken aufstellen,
Heu wenden, Einfahren und schließlich Dreschen. Anfang September
geht diese arbeitsreiche dennoch schöne Zeit zu Ende, ein wohlgelungener
Abschiedsabend in Anwesenheit des Lagerführers bildet den Abschluss.
Im
Lager herrscht eine ganz ungewohnte Atmosphäre, die politischen
Gewitterwolken am europäischen Himmel haben auch hier eine
drückende Ungewissheit und Lähmung des Normalbetriebes
ausgelöst. Überholung des Arbeitsgeräts und infanteristischer
Geländedienst sind nun an erste Stelle getreten. Endlich
am 1. Oktober¹, mit der Klärung der internationalen
Lage, tritt auch in dieser Abgeschiedenheit die langersehnte
Entspannung ein. Nun sind es nur noch wenige Wochen bis zur
Entlassung, bei diesem Gedanken verstreichen die letzten Tage,
und am 26. Oktober treten wir die Rückreise nach Bremen
an. |
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¹ Nachdem er sich bei der Konferenz in München am 29.
September 1938 das Einverständnis europäischer Mächte
gesichert hatte, marschieren Hitlers Truppen am 1. Oktober 1938 in
die von Deutschen bevölkerten Gebiete des Sudetenlands ein. Die
dort ebenfalls wohnenden Tschechen sollen umgesiedelt werden. Ab dem
15. März 1939 besetzen deutsche Truppen auch den Westen der kurz
zuvor zerfallen Tschechoslowakei. |